Art. 14

Wechseln zu: , Suche
Die oberste Aufgabe des Staates ist die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt. In diesem Sinne sorgt der Staat für die Schaffung und Wahrung des Rechtes und für den Schutz der religiösen, sittlichen und wirtschaftlichen Interessen des Volkes.

The highest responsibility of the State shall be to promote the overall welfare of the People. For this purpose, the State shall be responsible for establishing and safeguarding law and for protecting the religious, moral and economic interests of the People.

Autorin: Patricia M. Schiess Rütimann. Zuletzt bearbeitet: 31. August 2016
Zitiervorschlag: Schiess Rütimann, Patricia M., Art. 14 LV, Stand: 31. August 2016, in: Liechtenstein-Institut (Hrsg.): Online-Kommentar zur liechtensteinischen Verfassung, https://verfassung.li/Art._14

Entstehung und Materialien

Verfassung des Kantons St. Gallen vom 16. November 1890 Art. 1

Verfassungsentwurf Beck Art. 4

RV § 14

LGBl. 1921 Nr. 15

Initiativbegehren des „Komitees für das Leben“

Literatur

Adamovich, Ludwig K./Funk, Bernd-Christian/Holzinger, Gerhart/Frank, Stefan L., Österreichisches Staatsrecht, Bd. 1: Grundlagen, 3. Aufl., Wien/New York 2014

Aubert, Jean-François, Kommentar zu Art. 2 BV, in: Aubert/Eichenberger/Müller/Rhinow/Schindler (Hrsg.), Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874, Basel/Zürich/Bern (Stand April 1986)

Aubert, Jean-François, Kommentar zu Art. 2 BV, in: Aubert/Mahon, Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, Zürich 2003, S. 20–25

Belser, Eva Maria, Kommentar zu Art. 2 BV, in: Waldmann/Belser/Epiney (Hrsg.), Basler Kommentar. Bundesverfassung, Basel 2015, S. 51–59

Berka, Walter, Verfassungsrecht, 6. Aufl., Wien 2016

Bertschi, Martin/Gächter, Thomas, Schöne Worte? Zur Eignung der Präambel, des Zweckartikels und des Appells an die Verantwortung als Leitlinien staatlichen Handelns, in: Gächter/Bertschi (Hrsg.), Neue Akzente in der „nachgeführten“ Bundesverfassung, Zürich 2000, S. 3–32

Biaggini, Giovanni, § 7 Grundfragen der Verfassungsstaatlichkeit, in: Biaggini/Gächter/Kiener (Hrsg.), Staatsrecht, 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2015, S. 79–95

Biaggini, Giovanni, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Kommentar, Zürich 2007

Burckhardt, Walther, Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, 2. Aufl., Bern 1914

Bussjäger, Peter, Der Schutz der Menschenwürde und des Rechts auf Leben, in: Kley/Vallender (Hrsg.), Grundrechtspraxis in Liechtenstein, LPS 52, Schaan 2012, S. 113–129

Ehrenzeller, Bernhard, Kommentar zu Art. 2 BV, in: Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung. St. Galler Kommentar, 3. Aufl., Zürich/St. Gallen 2014, S. 74–80

Eichenberger, Kurt, Zur Problematik der Aufgabenverteilung zwischen Staat und Privaten, ZBl 91 (1990) S. 517–540

Frick, Kuno, Die Gewährleistung der Handels- und Gewerbefreiheit nach Art. 36 der Verfassung des Fürstentums Liechtenstein, Fribourg 1998

Frommelt, Isabel, Analyse Sozialstaat Liechtenstein. Basierend auf der Entwicklung der Sozialausgaben des Landes 1995–2004, Studie im Auftrag der Regierung des Fürstentums Liechtenstein, Vaduz 2005

Häfelin, Ulrich/Haller, Walter/Keller, Helen/Thurnherr, Daniela, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 9. Aufl., Zürich 2016

Hafner, Felix, Staatsaufgaben und öffentliche Interessen – ein (un)geklärtes Verhältnis?, BJM 2004, S. 281–308

Hebeisen, Walter Michael, Staatszweck, Staatsziele, Staatsaufgaben. Leistungen und Grenzen einer juristischen Behandlung von Leitideen der Staatstätigkeit, Chur/Zürich 1996

Höfling, Wolfram, Die liechtensteinische Grundrechtsordnung. Eine kritisch-systematische Bestandsaufnahme der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs unter Berücksichtigung der Grundrechtslehren des deutschsprachigen Raumes, LPS 20, Vaduz 1994

Höfling, Wolfram, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, LPS 36, Schaan 2003

Isensee, Josef, § 71 Gemeinwohl im Verfassungsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Band IV: Aufgaben des Staates, 3. Aufl., Heidelberg 2006, S. 3–79

Isensee, Josef, § 73 Staatsaufgaben, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Band IV: Aufgaben des Staates, 3. Aufl., Heidelberg 2006, S. 117–160

Monnier, Victor, Les origines de l’article 2 de la Constitution fédérale de 1848, ZSR 1998 II, S. 415–490

Rhinow, René E., Kommentar zu Art. 31bis BV, in: Aubert/Eichenberger/Müller/Rhinow/Schindler (Hrsg.), Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874, Basel/Zürich/Bern (Stand Februar 1991)

Richli, Paul, Staatsaufgaben – Grundlagen, in: Thürer/Aubert/Müller (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz, Zürich 2001, S. 851–869

Richli, Paul, Zweck und Aufgaben der Eidgenossenschaft im Lichte des Subsidiaritätsprinzips, ZSR 1998 II, S. 139–316

Tschannen, Pierre, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 3. Aufl., Bern 2011

Wille, Herbert, Die liechtensteinische Staatsordnung. Verfassungsgeschichtliche Grundlagen und oberste Organe, LPS 57, Schaan 2015

I. Entstehungsgeschichte

Das Wohl des Volkes und die Wohlfahrt fanden schon in früheren Verfassungstexten Erwähnung.[1] Insofern wurde mit Art. 14 LV nichts gänzlich Neues geschaffen. Wilhelm Beck stellte in seinem Entwurf vom Januar 1919 Art. 4 dem II. Hauptstück über die Staatsaufgaben voran. Er lautete: „Der Staat setzt sich zur Aufgabe die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt, die Schaffung und Wahrung des Rechts und Schutz der religiösen, wirtschaftlichen und sittlichen Volksinteressen.“ Seine definitive Formulierung fand der nunmehr zu § 14 RV gewordene Artikel im Regierungsentwurf Peer. Elegant nutzte Josef Peer – indem er die Förderung der Wohlfahrt als „oberste Aufgabe“ bezeichnete – § 14 RV noch besser als Beck für die Einleitung in das Hauptstück über die Staatsaufgaben. § 14 RV wurde ohne jegliche Diskussion im Landtag zu Art. 14 LV und ist seit 1921 unverändert in Kraft.

Als Vorbild für den Entwurf von Beck diente offenbar die Verfassung des Kantons St. Gallen vom 16. November 1890. Sie wurde mit dem Abschnitt „Aufgaben des Staates“ eingeleitet. Art. 1 KV Kanton SG 1890 lautete: „Der Staat setzt sich zur Aufgabe die Förderung der gesamten Volkswirtschaft.“ Für den zweiten Satz von Art. 14 LV findet sich hingegen soweit ersichtlich keine Vorlage.

Die Regierungsvorlage von Josef Peer unterschied sich vom Entwurf von Wilhelm Beck darin, dass sie die Förderung der Wohlfahrt als „oberste Aufgabe“ bezeichnete und „Schaffung und Wahrung des Rechtes“ sowie Schutz der „Interessen des Volkes“ als sich daraus ableitende Aufgaben nannte. M.E. erfolgte dadurch keine Herabstufung dieser beiden Ziele, sondern vielmehr eine Aufwertung. Indem sie nicht wie bei Beck nach der Förderung der Wohlfahrt als weitere Aufgaben genannt werden, denen dann die übrigen in Art. 15 ff. LV aufgezählten Aufgaben folgen, sondern unmittelbar in Beziehung gesetzt werden zur obersten Aufgabe, wird ihre besondere Bedeutung hervorgehoben.

Am 25./27. November 2005 wurde über das ausformulierte Initiativbegehren „Für das Leben“ und über den Gegenvorschlag des Landtags abgestimmt. Der Gegenvorschlag wurde angenommen, das Initiativbegehren abgelehnt.[2] Mit dem Gegenvorschlag gelangten Art. 27bis LV und Art. 27ter LV in die Verfassung.[3] Das Initiativbegehren hätte demgegenüber eine Änderung von Art. 14 LV zur Folge gehabt. Art. 14 LV hätte neu lauten sollen:[4]

„Die oberste Aufgabe des Staates ist der Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis an bis zum natürlichen Tod sowie die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt. In diesem Sinne sorgt der Staat für die Schaffung und Wahrung des Rechtes und für den Schutz sowohl der Menschenwürde als auch der religiösen, sittlichen und wirtschaftlichen Interessen des Volkes.“

Die Initiative wurde im Landtag abgelehnt. Die Abgeordneten fanden es sinnvoller, für die einzelnen Fragen zu Lebensbeginn und -ende sowie zur medizinischen Forschung im Gesetz adäquate Lösungen zu treffen. Lediglich eine Abgeordnete sprach sich aus systematischen Überlegungen für das Initiativbegehren aus. Sie argumentierte damit, dass die Verankerung des Schutzes der Menschenwürde bei den Staatsaufgaben der Regierung einen klaren Handlungsauftrag erteile.[5] Der ihr folgende Redner wies wohl deshalb darauf hin, dass der Schutz des Lebens den Grundrechten zuzuordnen und deshalb im IV. Hauptstück besser aufgehoben sei.[6] Dass die Initiative eine zweite oberste Aufgabe statuieren wollte und welche Konsequenzen dies gehabt hätte, wurde von den Abgeordneten nicht erläutert. Weil keine weiteren Ausführungen zum Charakter der Staatsaufgaben erfolgten und sich kein Abgeordneter zum Text von Art. 14 LV äusserte, können aus der Diskussion über das Initiativbegehren „Für das Leben“ für die Auslegung von Art. 14 LV keine Schlüsse gezogen werden.

II. Art. 14 LV ist keine Kompetenznorm

Bei Art. 14 LV handelt es sich wie bei Art. 1 Abs. 1 zweiter Satz LV um einen Zweckartikel[7] respektive gemäss österreichischer Terminologie um eine Staatszielbestimmung[8]. Die Frage, ob die Zweckartikel[9] als Kompetenznormen dienen dürfen, wäre falsch gestellt. Liechtenstein ist ein Einheitsstaat.[10] Darum müssen hier – anders als im Bundesstaat[11] – Kompetenzen nicht dem Land oder den Gliedstaaten zugewiesen werden. Es gibt keine Gliedstaaten. Wie zu Art. 110 LV ausgeführt,[12] liegen die Kompetenzen beim Land und nicht bei den Gemeinden. Die Gemeinden sind nur soweit autonom, als ihnen das Landesrecht Raum lässt.[13] Insofern bedarf es für das Verhältnis Land – Gemeinden keiner Kompetenzzuweisung. Allerdings darf das Land in den Bereichen, welche die Verfassung als Aufgabe der Gemeinden erwähnt (wie in Art. 25 LV das öffentliche Armenwesen), nicht sämtliche Kompetenzen an sich ziehen. Wenn nun Art. 14 LV die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt als oberste Aufgabe des Staates[14] bezeichnet und das III. Hauptstück eine Liste von Staatsaufgaben enthält, überlagern sie die Regelungen des X. Hauptstückes nicht. Die in Art. 25 LV und Art. 110 LV vorgenommene Zuweisung von Aufgaben an die Gemeinden bleibt unverändert.

Eine andere Frage ist, ob das Land unmittelbar gestützt auf Art. 14 LV, also ohne gesetzliche Grundlage, aber mit der Begründung, die anvisierten Massnahmen dienten der gesamten Volkswohlfahrt, eine Aufgabe an sich ziehen darf. Um ein Beispiel zu nennen: Dürfte das Land die Mittagsverpflegung aller Schulkinder im Schulhaus für zwingend erklären mit der Begründung, eine ausgewogene, auf die Erfordernisse der Beanspruchung durch die Schule abgestimmte Ernährung im Kreis der Schulkameraden und mit Betreuung von Fachpersonen fördere die schulischen Leistungen der Kinder, was ihrer Entfaltung diene und dem Wirtschaftsstandort Liechtenstein zugutekomme?

Die Antwort lautet „nein“. Art. 14 LV kann als offen formulierter Zweckartikel nicht als unmittelbare Grundlage für Eingriffe in die Positionen Einzelner dienen.[15] Für solche Eingriffe in die Rechte von Eltern und Kindern braucht es eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage. Die Umsetzung des Ziels, Schulkindern mittels optimaler Ernährung und Betreuung schulischen Erfolg zu ermöglichen, bedürfte deshalb der konkreten Umsetzung durch den Gesetzgeber. VGH 2007/024, Erw. 13 führte aus: „Gemäss Art. 14 LV ist die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt die oberste Aufgabe des Staates. In diesem Sinne sorgt der Staat für die Schaffung und Wahrung des Rechts und für den Schutz der religiösen, sittlichen und wirtschaftlichen Interessen des Volkes. Art. 14 LV beinhaltet lediglich eine Ziel- und Zweckbestimmung, die für die Gestaltung des staatlichen Tuns massgebend sein soll, ohne dass dabei aber Mittel, Verfahren und Organe bezeichnet werden. Art. 14 LV bezieht sich auf die gesamte staatliche Aktivität und drückt die generelle Grundeinstellung des Staates aus, d.h. dieser Wohlfahrtsartikel setzt Richtpunkte für das Verhalten aller staatlichen Behörden, (…) bedürfen doch solche Verfassungsbestimmungen, die einen programmatischen Gehalt haben, zusätzlich der weiteren Konkretisierung durch den Gesetzgeber (…).“

Der Gesetzgeber darf sich eines Themenbereiches auch dann annehmen, wenn dieser in der Verfassung nicht ausdrücklich genannt wird.[16] Der liechtensteinische Gesetzgeber ist deshalb nicht verpflichtet, für jedes einzelne Gesetz und damit für jedes einzelne Thema, das er einer Regelung zuführt, explizit eine Grundlage in der Verfassung zu nennen. Er ist deshalb nicht gezwungen, sich auf Art. 14 LV zu stützen und auf die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt Bezug zu nehmen, wenn sich keine spezifischere Verfassungsnorm für den betreffenden Themenbereich, den er regeln möchte, findet.

III. Art. 14 LV begründet keine subjektiven Rechte

Aus Art. 14 LV können keine individuellen Rechte und Ansprüche abgeleitet werden.[17] Art. 14 LV statuiert kein verfassungsmässig gewährleistetes Recht, das die Individualbeschwerde an den StGH eröffnen würde. Vielmehr formuliert Art. 14 LV den Staatszweck. Es geht demnach um institutionelle Aspekte, nicht um individuelle. Art. 14 LV auferlegt dem Staat jedoch keine so klar umrissenen Aufgaben, dass gestützt auf ihn einzelne Pflichten abgeleitet werden können, denen er nachkommen muss. Insofern verpflichtet Art. 14 LV den Gesetzgeber auch nicht zum Erlass bestimmter Gesetze mit klar vorgegebenem Inhalt.[18]

Zu Art. 20 LV, der enger abgefasst ist als Art. 14 LV und präziser erkennen lässt, in welchen Bereichen der Staat aktiv werden muss, führte StGH 2011/81, Erw. 3 aus: „Der von den Beschwerdeführern angerufene Art. 20 LV beinhaltet kein verfassungsmässig gewährleistetes Recht, sondern enthält die Kompetenz des Landes zur Förderung und Unterstützung von Land- und Alpwirtschaft, Gewerbe und Industrie. Eine Berufung auf diese Bestimmung ist im Rahmen einer Individualbeschwerde gemäss Art. 15 Abs. 1 StGHG nicht möglich, da sie dem Einzelnen kein subjektives Recht einräumt bzw. keine individualschützende Funktion hat (vgl. Höfling, Die Verfassungsbeschwerde, S. 114 f.). Sie hat vielmehr eine Staatsaufgabe zum Gegenstand (so die Überschrift des III. Hauptstückes). Ein Förder- oder Schutzanspruch lässt sich daraus nicht ableiten.“

IV. Förderung der Volkswohlfahrt

A. Der Begriff „gesamte Volkswohlfahrt“

Wie die verschiedenen, den Begriff „Wohl“ enthaltenden Wendungen in der Konstitutionellen Verfassung[19] und den noch älteren Texten[20] zeigen, bestand 1921 keine gefestigte Vorstellung über den Inhalt des Begriffs „Volkswohlfahrt“. Die inhaltlichen Konturen von „Wohl“ und „Wohlfahrt“ waren nicht scharf gezeichnet. Monnier notierte (bezogen auf Art. 2 der Schweizerischen Bundesverfassung von 1848, der bei der Totalrevision von 1874 unverändert blieb und als Zweck die „Beförderung“ der „gemeinsamen Wohlfahrt“ der Eidgenossen nannte), dass dem Begriff „Wohlfahrt“ eine Bezugnahme auf die Gemeinschaft innewohnte.[21] Für die Zeit nach 1798 stellte er fest, dass (nicht zuletzt wegen der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung in der Schweiz) mit dem Begriff „Wohlfahrt“ nun stärker das einzelne Individuum anvisiert wurde.

Für Liechtenstein scheint ein solcher mehr das individuelle Wohlergehen betonende Bedeutungswandel nicht überzeugend,[22] nicht zuletzt weil Art. 14 LV ausdrücklich von „Volkswohlfahrt“ spricht und ihr das Adjektiv „gesamte“ beifügt. Im III. Hauptstück finden sich nicht nur Bestimmungen, die Einzelnen Vorteile bringen (wie die Unentgeltlichkeit des Schulunterrichts gemäss Art. 16 Abs. 3 LV oder die Errichtung von Sozialversicherungen gemäss Art. 26 LV), sondern auch viele, die dem Einzelnen höchstens indirekt Vorteile bringen (z.B. indem gestützt auf Art. 24 Abs. 1 LV ein gerechtes Steuersystem implementiert wird oder Hoheitsrechte normiert werden). Überdies erwähnt auch Art. 10 Abs. 1 LV im Zusammenhang mit dem Notstandsrecht „die Sicherheit und Wohlfahrt des Staates“ als Ziele.

„Volkswohlfahrt“ darf deshalb nicht gleichgesetzt werden mit finanziellen Vorteilen für den Einzelnen[23] oder Leistungen, von denen nur eine „beschränkte Anzahl von Personen“ profitieren können.[24] Vielmehr verdeutlicht das Adjektiv „gesamte“, dass nicht einzelne Personen, Berufsgruppen, Schichten oder Regionen günstige Bedingungen oder handfeste materielle Vorteile erhalten sollen, sondern dass das Wohlergehen aller anzustreben ist.[25] Würde hierbei einzig an wirtschaftliche Interessen gedacht, müssten diese im zweiten Satz nicht wiederholt werden. Auch durch die explizite Erwähnung der religiösen und sittlichen Interessen wird klargestellt, dass es nicht allein um finanzielle Belange gehen kann, sondern um das, was heutzutage Gemeinwohl genannt wird.[26] Es muss an anderen Kriterien gemessen werden als an den finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen. Als Kriterien bieten sich z.B. gesunde Wohnverhältnisse, eine intakte Umwelt, Erwerbsmöglichkeiten, der Zugang zu Bildung und zur Gesundheitsversorgung sowie kulturelle Angebote und die Möglichkeit, Beziehungen zu pflegen und über die Gestaltung des engeren Umfeldes mitzuwirken, an. Im Zusammenhang mit der Ausgestaltung der Steuern sagte BGE 133 I 206 E. 7.4 S. 220: „In der Förderung der gemeinsamen Wohlfahrt gemäss Art. 2 Abs. 2 BV kommt der Sozialstaatsgedanke und die soziale Verantwortung des Gemeinwesens zum Ausdruck (…[27]).[28] Grundvoraussetzung für die persönliche und wirtschaftliche Entfaltung des Individuums ist Solidarität zwischen den verschiedenen Bevölkerungsschichten, Altersgruppen usw.“ Dieser soziale Gedanke wohnt auch Art. 14 LV inne. Welche Aspekte wie stark gewichtet werden und was damit als Gemeinwohl angesehen wird, unterliegt der Verantwortung der politischen Entscheidungsträger. Sie haben hierbei einen grossen Spielraum.

B. Der Begriff „Förderung“ der Volkswohlfahrt

Das Verb „fördern“ und entsprechend das Substantiv „Förderung“ bezeichnen (da Förderung auf sehr unterschiedliche Art und Weise geschehen kann) nicht so sehr eine konkrete Tätigkeit, als dass sie ein Ziel vorgeben: Was gefördert worden ist, präsentiert sich nach einer gewissen Zeit als besser, grösser, schöner, effizienter etc. Kann keine Veränderung gegenüber vorher festgestellt werden, stellen die ergriffenen Massnahmen keine Förderung dar. Deshalb hat der Staat seine Aufgabe nicht bereits dann erfüllt, wenn er in irgendeiner Weise tätig wird. Vielmehr muss er Massnahmen treffen, von denen zu erwarten ist, dass sie zur Erreichung des Ziels führen. Ihr Erfolg ist regelmässig zu überprüfen.

Diese Zielgerichtetheit findet sich in Art. 14 LV („Förderung der gesamten Volkswohlfahrt“) und in Art. 20 Abs. 1 LV („Hebung der Erwerbsfähigkeit“ und „Pflege seiner wirtschaftlichen Interessen“). Den beiden Verfassungsartikeln ist gemeinsam, dass der Bereich, in dem die Verbesserung eintreten soll, weit gefasst ist und die Erreichung des Ziels nicht durch das Messen eines einzigen Parameters festgestellt werden kann. Immerhin aber führt Art. 20 Abs. 1 LV aus, in welchen Bereichen (Land- und Alpwirtschaft, Gewerbe und Industrie) die Verbesserung erreicht werden soll. Art. 14 LV ist demgegenüber viel offener.

C. Hervorgehobene Stellung von Art. 14 LV

Art. 14 LV hebt sich insofern von den anderen Bestimmungen des III. Hauptstückes ab, als er nicht irgendeine Aufgabe näher umschreibt, sondern die „oberste“.

Art. 15 LV nennt konkrete Ziele (religiös-sittliche Bildung der Jugend, Verinnerlichen einer vaterländischen Gesinnung und Vorbereitung auf die künftige berufliche Tätigkeit). Es handelt sich dabei um Ziele, die durch das Erziehungs- und Bildungswesen erreicht werden sollen. Hier ist der Kreis der Adressaten und des Bereiches, in dem das Ziel erreicht werden soll, viel enger gefasst als bei der Förderung der Volkswohlfahrt, die weder einem einzigen Akteur aufgetragen noch einem bestimmten Tätigkeitsbereich zugeordnet wird. Enge Ziele finden sich mit der Besserung von Trinkern und arbeitsscheuen Personen auch in Art. 18 LV, mit der gerechten Besteuerung, Hebung der finanziellen Lage des Staates, Erschliessung neuer Einnahmequellen in Art. 24 LV und in Art. 27 LV mit dem effizienten Verfahren.[29]

Im Vergleich mit diesen Bestimmungen und den übrigen Verfassungsartikeln, in denen das Verb „fördern“ (meist in Zusammenhang mit dem Verb „unterstützen“) genannt wird, kommt Art. 14 LV nicht nur wegen der Erwähnung der „obersten Aufgabe“ eine besondere Bedeutung zu, sondern auch aufgrund der offenen Umschreibung, die sich nicht auf einzelne (Wirtschafts-)Bereiche erstreckt, sondern eine allgemeine Richtschnur vorgibt.[30] Anstatt von oberster Aufgabe zu sprechen, erscheint es deshalb sinnvoll, die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt als Staatsziel oder Staatszweck zu bezeichnen.[31]

D. Verhältnis von Art. 14 LV zu Art. 1 Abs. 1 zweiter Satz LV

Neben Art. 14 LV nennt seit der Verfassungsrevision von 2003 auch Art. 1 Abs. 1 zweiter Satz LV einen Staatszweck. Er lautet: „Das Fürstentum Liechtenstein soll den innerhalb seiner Grenzen lebenden Menschen dazu dienen, in Freiheit und Frieden miteinander leben zu können.“ Art. 14 LV und Art. 1 Abs. 1 zweiter Satz LV sind die einzigen Bestimmungen, welche sich nicht zur Staatsform respektive zu den Staatsorganen äussern, keine konkreten Aufgaben zuweisen oder Grundrechte gewährleisten, sondern Antwort auf die Frage geben, was das Ziel der staatlichen Ordnung ist, wozu sich Liechtenstein inhaltlich verpflichtet fühlt.[32] Man könnte es auch so formulieren: Die liechtensteinische Verfassung gibt die Ziele Freiheit und Friede für alle im Land Wohnenden, Wohlfahrt für das gesamte Volk, Recht, Schutz der religiösen und sittlichen Interessen sowie Befriedigung der wirtschaftlichen Interessen vor. An diesen Zielen ist das gesamte staatliche Handeln zu messen. An ihnen hat sich die Auslegung zu orientieren.[33]

Die in Art. 14 LV und Art. 1 Abs. 1 zweiter Satz LV genannten Ziele ergänzen sich und bedingen sich ein Stück weit gegenseitig.[34] Eine beständige Rechtsordnung und eine erfolgreiche Wirtschaft fördern das friedliche Zusammenleben, zugleich wirkt sich eine freiheitliche Ordnung, in der die Menschen friedlich zusammenleben, positiv auf die Wirtschaft aus. Insofern ist auch die Frage müssig, ob dem einen oder anderen Zweckartikel mehr Bedeutung zukommt.

E. Verhältnis vom ersten zum zweiten Satz von Art. 14 LV

Die Formulierung „in diesem Sinne“ schafft eine Verbindung zwischen dem Zweck „Förderung der gesamten Volkswohlfahrt“ und den im zweiten Satz genannten Aspekten Schaffung und Wahrung des Rechts und Schutz der Interessen des Volkes. Dies ist so zu verstehen, dass mit der Konzentration auf Gesetzgebung, Durchsetzung des Rechts und Massnahmen zum Schutz der genannten Bedürfnisse die Wohlfahrt gefördert wird. Mit einer solchen Auslegung, die den zweiten Satz als Ergänzung und Präzisierung des ersten Satzes auffasst, gewinnt dieser Konturen.

F. Programmatischer Charakter von Art. 14 LV

Bei Art. 14 LV handelt es sich um eine programmatische Bestimmung,[35] aus der keine individuellen Ansprüche abgeleitet werden können.[36] Im Gegenzug verpflichtet Art. 14 LV auch nicht ein bestimmtes Organ. Vielmehr braucht es zum Erreichen des Gemeinwohls Anstrengungen verschiedener Organe (Gesetzgeber, Amtsstellen, Schulen, öffentlich-rechtliche Unternehmen etc.).[37] Die „gesamte Staatstätigkeit“ ist auf diese Ziele auszurichten.[38] Oder wie es bereits VBI 1994/11, Erw. 2.c (= LES 1994, 122 [125]) ausführte: „Art 14 LV bezieht sich auf die gesamte staatliche Aktivität und drückt die generelle Grundeinstellung des Staates aus. Dieser Wohlfahrtsartikel setzt Richtpunkte für das Verhalten aller staatlichen Behörden.“ Insofern kommt Art. 14 LV durchaus eine normative Bedeutung zu.

Wie sich aus der in Art. 25 LV verwendeten Terminologie ergibt, ist mit „Staat“ das Land gemeint. Das Land würde seiner Verpflichtung nicht nachkommen, wenn es zulassen würde, dass eine Gemeinde seine Bemühungen torpediert, z.B. indem sie nur für ihre Einwohner wirtschaftliche oder sonstige Vorteile zulasten anderer Teile Liechtensteins zu erlangen versuchen würde oder aus finanziellen Erwägungen Teile ihre Einwohner unter unwürdigen Bedingungen dahinvegetieren liesse. Art. 14 LV verpflichtet die Gemeinden jedoch nicht unmittelbar, selber aktiv zu werden oder Aktivitäten des Landes zu unterstützen.[39]

Was Bussjäger zu Art. 1 LV ausführt,[40] gilt auch für Art. 14 LV: Auch ihm kommt lediglich eine „bescheidene normative Bedeutung“ zu.[41] Dennoch stellt Art. 14 LV eine rechtlich verbindliche Handlungsrichtlinie dar und dient als Richtschnur des politischen Handelns für die Zukunft. Er gibt eine „inhaltliche Grundentscheidung“ vor.[42] StGH 2010/100, Erw. 4 bezeichnete die Bestimmungen des III. Hauptstückes denn auch als „einen Katalog von Staatsaufgaben, die als Programmsätze und Staatsziele Leitlinien des staatlichen Handelns vorgeben.“

Indem Art. 14 LV die grundsätzliche inhaltliche Ausrichtung aller Staatstätigkeiten bestimmt, trägt er dazu bei, dass die Verfassung ihre Gestaltungs- und Steuerungsfunktion wahrnehmen kann.[43] Oder wie es Frick formulierte: „Der Wohlfahrtsartikel ist allerdings weniger als vorrangiges, denn mehr als überdachendes Prinzip zu betrachten und stellt demzufolge eine generelle Auslegungsregel dar.“[44] In der Tat verpflichtet Art. 14 LV dazu, bei mehreren möglichen Auslegungen einer Norm diejenige Interpretation zu wählen, die dem Gemeinwohl am umfassendsten dient.[45] Er kann überdies bei der Konkretisierung der verschiedenen öffentlichen Interessen von Nutzen sein.[46]

V. Schaffung und Wahrung des Rechts

Im Begriff „Schaffung und Wahrung des Rechts“ eine Aussage über die Herkunft und Geltung des Rechts zu suchen, ginge zu weit. Angesichts der wirtschaftlichen Not und der Umwälzungen in Liechtenstein, die in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg zur Reorganisation des Staatsaufbaus und neu im Land zu liegenden Institutionen führten,[47] ist vielmehr davon auszugehen, dass mit „Schaffung des Rechts“ die Rechtsetzung und mit „Wahrung des Rechts“ die Rechtsprechung gemeint ist. Die Bedeutung von wirksamen Gesetzen und die Rechtsdurchsetzung durch Behörden und Gerichte in den Vordergrund zu rücken und als Staatsaufgaben zu nennen, welche der allgemeinen Wohlfahrt dienen, ist sinnvoll. Die Verfassung regelt ja auch ausführlich, wie die Gesetzgebung erfolgt (Art. 9, Art. 62, Art. 64, Art. 65, Art. 66, Art. 67 LV). Die Verpflichtung in Art. 14 LV auf „das Recht“ ist jedoch in jedem Fall nicht als Verpflichtung auf einen bloss positivistischen Begriff des Rechts zu verstehen, sondern als eine Verpflichtung, zur konstanten Pflege des Rechtsstaates.

Die Verfassung sagt nirgends explizit, dass dem Land die Kompetenz für die Gesetzgebung im Privat-, Handels- und Strafrecht[48] zukommt oder dass es Register führen muss. Lediglich Urheberrecht (Art. 34 Abs. 2 LV), Prozess- und Vollstreckungsrecht (Art. 27 Abs. 1 LV) sowie Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsorganisation (Art. 27 Abs. 1 und Art. 94 LV) werden als vom Staat zu regelnde Materien aufgezählt. Dies ist insofern verständlich, als 1921 für das Privat-, Handels- und Strafrecht bewährte Kodifikationen vorlagen. In diesen Bereichen musste demnach die Verfassung dem Gesetzgeber keine Aufträge mehr erteilen.

VI. Schutz der religiösen, sittlichen und wirtschaftlichen Interessen des Volkes

Art. 14 zweiter Satz LV nennt den Schutz der religiösen, sittlichen und wirtschaftlichen Interessen des Volks als Mittel zur Erreichung der Volkswohlfahrt. Heute würde man eher von „Bedürfnissen“ sprechen, die zu berücksichtigen und wenn möglich zu befriedigen sind.

Art. 15 LV strebt eine „religiös-sittliche Bildung“ der heranwachsenden Jugend an, und Art. 37 Abs. 2 LV nennt für die nicht katholischen Religionsgemeinschaften die Sittlichkeit und öffentliche Ordnung als Grenze ihrer Betätigung, während Art. 40 LV für die Meinungsfreiheit die Schranke bei Gesetz und Sittlichkeit zieht. Dies zeigt, dass die Verfassung mit „Sittlichkeit“ diejenigen ungeschriebenen Normen und Verhaltensweisen meint, die von jedermann unabhängig von seinem Bekenntnis befolgt werden. Bei der Formulierung von Art. 14 LV wurde demnach mit der Erwähnung der religiösen und der sittlichen Interessen nicht ein Gegensatz kreiert. Vielmehr sollen sich die beiden Begriffe verstärken und zeigen, dass nicht nur die Bedürfnisse der Angehörigen einer bestimmten Konfession Berücksichtigung finden sollen.

Berücksichtigt werden sollen auch wirtschaftliche Interessen, und zwar – wie ausgeführt[49] – nicht bloss die von einzelnen Ständen oder Berufsgruppen. Damit zeichnet Art. 14 LV vor, dass zugunsten von (wirtschaftlich) Schwächeren Einschränkungen der (wirtschaftlich) Stärkeren erfolgen dürfen. Art. 14 LV sagt jedoch nicht, in welchen Bereichen und in welcher Form der Gesetzgeber Einschränkungen vorzunehmen hat. Ebenso wenig kann aus Art. 14 LV eine Verpflichtung von Privaten abgeleitet werden, sich an den Zielen des Staates auszurichten und aktiv zur Verwirklichung des Gemeinwohls beizutragen. Art. 14 LV steht einer Verpflichtung von Privaten durch den Gesetzgeber jedoch auch nicht entgegen. StGH 2004/76, Erw. 8.b[50] schien den Eindruck zu erwecken, als ob Art. 14 LV als Grundlage für einschränkende Vorschriften gegenüber Privaten dienen könnte. In der Folge stellte die Urteilsbegründung jedoch klar, dass nicht Art. 14 LV die Grundlage bilden würde, sondern vom Gesetzgeber zu erlassende Normen.[51]

VII. Das Volk, dessen Interessen geschützt werden

Die Verfassung verwendet den Begriff „Volk“ nicht in allen Bestimmungen mit derselben Bedeutung. Mehrfach sind damit (so bereits 1921, aber auch in der aktuellen Version) nur die Staatsangehörigen oder die Wahl- und Stimmberechtigten gemeint (siehe insbesondere Art. 46 Abs. 1 LV). Bei Art. 14 LV kann dies weder bezogen auf die „Volkswohlfahrt“ noch bei der Erwähnung der verschiedenen Interessen „des Volkes“ der Fall sein. Während es bezüglich einzelner wirtschaftlicher Massnahmen (z.B. bei der Ausschüttung von Stipendien) denkbar wäre, sie nur zugunsten von Alteingesessenen oder Personen mit liechtensteinischer Staatsangehörigkeit zu ergreifen, ist nicht ersichtlich, wie religiöse und sittliche Bedürfnisse der Liechtensteiner Bürger befriedigt werden könnten, ohne dass von den Massnahmen auch weitere Einwohner profitieren würden. Überdies würden an der Staatsangehörigkeit ansetzende Ungleichbehandlungen das friedliche Zusammenleben gefährden, womit dem Gemeinwohl nicht gedient wäre.

Angesichts der nach dem Ersten Weltkrieg erhobenen Forderungen der im Ausland lebenden Liechtensteiner ist anzunehmen, dass Wilhelm Beck auch an sie dachte und sie insbesondere im III. Hauptstück – wo es um die wirtschaftliche Entwicklung Liechtensteins geht und nicht um individuell-konkrete Rechte, die einzelnen Personen zugeordnet werden müssen – nicht ausgeschlossen werden sollten. Anders als bei Art. 1 Abs. 1 zweiter Satz LV, der explizit die innerhalb der Grenzen des Landes lebenden Menschen als Nutzniesser nennt, ist der Kreis der Begünstigten bei Art. 14 LV weiter gezogen. Art. 14 LV steht deshalb Massnahmen zugunsten von Personen mit liechtensteinischem Pass und Wohnsitz im Ausland oder zugunsten von im Ausland lebenden Menschen ausländischer Nationalität, die eine gewisse Beziehung zu Liechtenstein aufweisen, nicht entgegen, sondern verlangt im Gegenteil, dafür zu sorgen, dass sich niemand mehr wie in der Zeit als die Verfassung verabschiedet wurde, wegen wirtschaftlicher Not gezwungen sieht, das Land zu verlassen.

In Art. 14 LV ist demnach mit dem Begriff „Volk“ die Gesamtheit der Bevölkerung Liechtensteins gemeint inklusive der vorübergehend oder dauerhaft im Ausland leben Liechtensteiner. Auch für ihre Belange kann und soll sich der Staat einsetzen.[52]

Fussnoten

  1. Siehe Schiess Rütimann, Einführende Bemerkungen III. Hauptstück Kapitel II.A.
  2. BuA Nr. 106/2005.
  3. LGBl. 2005 Nr. 267. Ausführlich hierzu Bussjäger, Schutz der Menschenwürde, Rz. 4.
  4. BuA Nr. 40/2005, S. 7.
  5. Abgeordnete Marlies Amann-Marxer, Landtags-Protokolle 2005, S. 858 (Sitzung vom 21. September 2005).
  6. Abgeordneter Harry Quaderer, Landtags-Protokolle 2005, S. 859 (Sitzung vom 21. September 2005).
  7. Isensee, Gemeinwohl, Rn. 11, sieht im Gemeinwohl „den Zweck, um dessentwillen die staatliche Organisation eingesetzt ist“, verkörpert.
  8. Siehe z.B. Berka, Verfassungsrecht, Rz. 203 ff., und Adamovich/Funk/Holzinger/Frank, Österreichisches Staatsrecht Bd. 1, Rz. 01.004 und 03.020.
  9. Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr, Bundesstaatsrecht, Rz. 1076, und Aubert, Petit Commentaire, Art. 2 BV, Rz. 6, leiten aus dem Zweckartikel der Bundesverfassung keine Kompetenzen ab. Gemäss Tschannen, Staatsrecht, § 20 Rz 8, begründen die „reinen Staatszielbestimmungen ohne Bezug zu bestimmten Sachaufgaben“ (wie insbesondere Art. 2 BV) keine Bundeskompetenzen. Siehe auch BGE 117 Ia 202 E. 4.b S. 212. Gegen die offenbar gehäuft vorkommende Auslegung von Art. 2 aBV als „kompetenzabgrenzende Bestimmung“ hatte sich 1914 bereits Burckhardt, Kommentar, S. 46 f. ausgesprochen. Er sagte: „Somit ist Art. 2 nicht praktisches Recht, sondern die bloss historisch interessante Mitteilung des politischen Gedankens, der die Gründer des neuen Bundes bei ihrem Werke geleitet hat.“
  10. Bussjäger, Kommentar zu Art. 1 LV Kapitel IV.A.
  11. Die in Art. 3 BV und Art. 42 BV verankerte Einzelermächtigung des Bundes macht eine detaillierte Aufzählung aller dem Bund zukommenden Kompetenzen in der Verfassung notwendig: Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr, Bundesstaatsrecht, Rz. 1052–1054.
  12. Schiess Rütimann, Kommentar zu Art. 110 LV Kapitel V.D.
  13. Schiess Rütimann, Kommentar zu Art. 110 LV Kapitel V.C.
  14. Dass Art. 14 LV mit „Staat“ das Land mit all seinen Institutionen meint, wird in Kapitel IV.F ausgeführt.
  15. Gl.M. gestützt auf die Rechtsprechung (VBI 1994/11 [= LES 1994, 122]) Höfling, Grundrechtsordnung, S. 196. Ähnlich Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr, Bundesstaatsrecht, Rz. 1076 (zu Art. 2 BV) und Rz. 1077 (zu Art. 94 Abs. 2 BV), wobei wegen der in Art. 3 und Art. 42 BV vorgegebenen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen die Umstände in der Schweiz etwas anders sind.
  16. Schiess Rütimann, Einführende Bemerkungen zum III. Hauptstück Kapitel VII.
  17. Gl.M. zu Art. 2 BV 1874 bereits Burckhardt, Kommentar, S. 49. Gl.M. für das österreichische Recht z.B. Berka, Verfassungsrecht, Rz. 206.
  18. Art. 14 LV enthält – anders als andere Bestimmungen des III. Hauptstückes – keinen klar umrissenen Gesetzgebungsauftrag. Siehe hierzu Schiess Rütimann, Einleitende Bemerkungen zum III. Hauptstück Kapitel I.
  19. Siehe Schiess Rütimann, Einführende Bemerkungen zum III. Hauptstück Kapitel II.A.
  20. Zur Verknüpfung von Gottesgnadentum und Wohlfahrt des Gemeinwesens siehe Wille, Staatsordnung, S. 138.
  21. Monnier, Origines, S. 421.
  22. Ebenso wenig kann in Art. 14 LV ein uneingeschränktes Bekenntnis zum Sozialstaat gesehen werden. Ehrenzeller, St. Galler Kommentar zu Art. 2 BV, Rz. 19, hingegen sieht in Art. 2 BV ein „grundsätzliches Bekenntnis zum Sozialstaat“.
  23. Rhinow, Kommentar BV 1874, Art. 31bis aBV, Rz. 13, betonte die „überindividuelle soziale Dimension des Wohlergehens“.
  24. VGH 2007/024, Erw. 13, wo der Fokus wie folgt gelegt wird: „Nach einer allgemeinen Definition kann unter "Wohlfahrt" die planmässige, zum Wohle der Allgemeinheit und nicht zum Erwerbszweck ausgeübte Sorge für Not leidende oder gefährdete Menschen verstanden werden, insbesondere die Sorge für die Gesundheit der Mitmenschen, deren sittliches oder wirtschaftliches Wohl und deren Erziehung zu besseren Menschen.“
  25. Gemäss Isensee, Gemeinwohl, Rn. 7 f., bezieht sich das Gemeinwohl immer „auf das Ganze des Lebens in allen seinen Dimensionen“.
  26. Gl.M. für die Erwähnung der „gemeinsamen Wohlfahrt“ in Art. 2 Abs. 2 BV: Hafner, Staatsaufgaben, S. 293 f. Isensee, Gemeinwohl, Rn. 4, bezeichnet Begriffe wie „Wohl der Allgemeinheit“, „das allgemeine Beste“, „das öffentliche Wohl“, „Gemeinnutz“ pauschal als Synonyme für das Gemeinwohl.
  27. Es folgen an dieser Stelle Belege zum Schweizer Recht.
  28. Gl.M. zur Formulierung in Art. 2 BV: Biaggini, BV-Kommentar, Art. 2 BV, Rz. 9: „Der Passus kann heute als ein grundsätzliches Bekenntnis zur Sozialstaatlichkeit verstanden werden (...). Angesprochen sind auch die Förderung des wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und zivilisatorischen Fortschritts (…).“ Sehr weit geht auch Hafner, Staatsaufgaben, S. 293 f.: Das öffentliche Interesse „als Inbegriff aller öffentlichen Interessen“ „kann als Synonym zum Gemeinwohlbegriff verstanden werden und trifft sich damit auch mit dem im Staatszweckartikel der Bundesverfassung – also in deren Art. 2 Abs. 2 – festgehaltenen Begriff der gemeinsamen Wohlfahrt, die der Staat zu fördern hat.“
  29. Tschannen, Staatsrecht, § 5 Rz. 7 f., unterscheidet zwischen „generellen, aufgabenübergreifenden Zielbestimmungen“ (wie insbesondere Art. 2, Art. 41, Art. 73 und Art. 94 BV) und aufgabenbezogenen Zielbestimmungen, die dazu dienen, „die einzelnen Bundeszuständigkeiten näher zu umschreiben“ (wie z.B. Art. 75 Abs. 1 BV).
  30. Siehe auch Bussjäger, Kommentar zu Art. 1 LV Kapitel V. Gl.M. VGH 2007/024, Erw. 13: „Art. 14 LV bezieht sich auf die gesamte staatliche Aktivität und drückt die generelle Grundeinstellung des Staates aus, d.h. dieser Wohlfahrtsartikel setzt Richtpunkte für das Verhalten aller staatlichen Behörden.“
  31. Die beiden Begriffe Staatszweck und Staatsziel werden hier wie von Bussjäger, Kommentar zu Art. 1 LV Kapitel V., synonym verwendet. Auch BSK BV-Belser, Art. 2 BV, Rz. 4, weist darauf hin, dass Staatszwecke, Staatsziele und Staatsaufgaben schwierig abzugrenzen sind. A.M. Richli, Zweck, S. 150 f. (wiederholt in Richli, Staatsaufgaben, Rz. 5), der die Staatszwecke als „das Allgemeinste“ bezeichnet. Hinweise auf die unterschiedliche Verwendung der Begriffe finden sich z.B. auch schon bei Eichenberger, Problematik, S. 520 ff. Eine unterschiedliche Verwendung der Begriffe findet sich auch bei Isensee, Staatsaufgaben, Rn. 8: Seiner Meinung nach kommt den Staatszwecken legitimatorische Bedeutung zu, aber keine rechtliche Verbindlichkeit, während Staatsziele normative Geltung erlangen.
  32. Bertschi/Gächter, Worte, S. 20, bezogen auf Art. 2 BV: Es wird „eine Auswahl aus der grundsätzlich unbeschränkten Anzahl der Zwecke (vorgenommen), die sich ein Staat setzen könnte.“
  33. Siehe sogleich Kapitel IV.F.
  34. Gl.M. für die in Art. 2 der Schweizerischen Bundesverfassung von 1848 und 1874 genannten Zwecke „Behauptung der Unabhängigkeit“, „Handhabung von Ruhe und Ordnung“, „Schutz der Freiheit und der Rechte der Eidgenossen und der Förderung ihrer Wohlfahrt“: Aubert, Kommentar BV 1874, Art. 2 aBV, Rz. 34.
  35. Gl.M. Frommelt, Analyse Sozialstaat, S. 18. Sie bejaht einen „Verfassungsauftrag, die Wohlfahrt der Bevölkerung und das öffentliche Gesundheitswesen zu fördern“.
  36. Siehe bereits Kapitel III.
  37. Gl.M. VGH 2007/024, Erw. 13: „Art. 14 LV beinhaltet lediglich eine Ziel- und Zweckbestimmung, die für die Gestaltung des staatlichen Tuns massgebend sein soll, ohne dass dabei aber Mittel, Verfahren und Organe bezeichnet werden.“
  38. Für die Schweiz: Bertschi/Gächter, Worte, S. 20, und Biaggini, Art. 2 BV, Rz. 4.
  39. Anders Art. 2 BV, welcher die Eidgenossenschaft als Ganzes und damit (in ihrem Zuständigkeitsbereich) auch die Kantone verpflichtet. So Biaggini, Art. 2 BV, Rz. 2, und Aubert, Petit Commentaire, Art. 2 BV, Rz. 5.
  40. Bussjäger, Kommentar zu Art. 1 LV Kapitel V.
  41. Hebeisen, Staatszweck, S. 142, wandte sich dagegen, dass den in der Bundesverfassung enthaltenen finalen Bestimmungen kein normativer Gehalt zukommt. A.M. Isensee, Staatsaufgaben, der zwischen Staatszwecken und Staatszielen unterscheidet (Rn. 8), wobei Staatsziele normative Geltung erlangen, aber keine subjektiven Rechte des Bürgers begründen (Rn. 9).
  42. Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr, Bundesstaatsrecht, Rz. 21, nennen die „Verfassung als materiale Grundordnung“ als eine von vier Grundfunktionen der Verfassung.
  43. Biaggini, Verfassungsstaatlichkeit, Rz. 7.
  44. Frick, Gewährleistung, S. 104. Zum Beizug von Art. 2 BV zur Auslegung in der Schweiz: Ehrenzeller, St. Galler Kommentar zu Art. 2 BV, Rz. 10 f., mit weiteren Hinweisen.
  45. Auch gemäss österreichischer Lehre und Rechtsprechung bilden die Staatsziele Massstäbe für die Interpretation des einfachgesetzlichen Rechts. Zu dieser verfassungskonformen Auslegung siehe z.B. VfSlg 19.084/2010 Erw. 1.2.1. Siehe auch Schiess Rütimann, Einleitende Bemerkungen zum III. Hauptstück Kapitel III.
  46. So Bertschi/Gächter, Worte, S. 22, bezogen auf Art. 2 BV. Siehe z.B. BGE 134 II 97 E. 3.1 S. 100, wo der Umweltschutzartikel (Art. 74 BV) und die besonderen Schutzaufträge von Art. 76–80 BV in die Interessenabwägung einbezogen werden und die Erhaltung der natürlichen Umwelt zur Staatsaufgabe erklärt wird. Siehe auch BGE 102 Ia 131 E. 5 S. 138, bezogen auf kantonale Gesetze: „So sind gerade einleitende Programmsätze (Präambeln, Zweckartikel) in besonderem Masse geeignet, den Sinn und Zweck eines Gesetzes zu kennzeichnen; damit helfen sie gleich wie andere offene Normen bei der Auslegung und Anwendung der unmittelbar verpflichtenden Rechtssätze (BGE 89 I 378), die den eigentlichen Inhalt des Gesetzes ausmachen.“
  47. Siehe Bussjäger, Kommentar zu Art. 1 LV Kapitel VI.
  48. Die Gefängnisse werden nur en passant erwähnt in Art. 93 lit. c LV.
  49. Siehe Kapitel IV.A.
  50. StGH 2004/76, Erw. 8.b: „Die Landesverfassung enthält (…) den Auftrag, für die "wirtschaftlichen Interessen des Volkes" zu sorgen (Art. 14 LV). Die Antwort, ob darin die Befugnis eingeschlossen ist, die Strategie zu verfolgen, mittels Ausübung von Zwang, dafür zu sorgen, dass die Anbieter und Anbieterinnen von gewerblichen Leistungen ganz unabhängig davon, ob damit (…) Gefahren für Dritte verbunden sind, über bestimmte fachliche Fähigkeiten verfügen und diese durch Prüfungen und Praxis nachweisen müssen, kann der Verfassung nicht ohne weiteres entnommen werden.“ StGH 2003/48, Erw. 5.2.3 klang ähnlich: „In seinem Wiederaufnahmeurteil vom 2. Mai 1988, StGH 1985/11, hat der Staatsgerichtshof zur Ermittlung des öffentlichen Interesses an der Zwangsmitgliedschaft neben dem GWK-Gesetz die Verfassungsbestimmungen über die Staatsaufgaben, nämlich Art. 14, Art. 19 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 herangezogen und gefolgert, dass das GWK-Gesetz von der Verfassung anerkannte öffentliche Interessen verfolge und somit die Zwangsmitgliedschaft, weil gesetzlich angeordnet und im öffentlichen Interesse, grundsätzlich mit der in Art. 36 LV getroffenen Ordnung der Handels- und Gewerbefreiheit vereinbar sei (StGH 1985/11, Erw. 13 [= LES 1988, 99 ff.]).“ Wie StGH 1985/11, Erw. 15 zeigt, handelte es sich aber auch hier um eine Konstellation, in welcher die Pflicht durch ein Gesetz und nicht unmittelbar durch Art. 14 LV als auferlegt betrachtet wurde.
  51. Gl.M. VGH 2007/024, Erw. 13: „Auch wenn man davon ausgeht, dass es keine Bestimmungen in der Verfassung ohne jeden Rechtsgehalt gibt, bedürfen doch solche Verfassungsbestimmungen, die einen programmatischen Gehalt haben, zusätzlich der weiteren Konkretisierung durch den Gesetzgeber (VBI 1994/11 = LES 1994, 122).“
  52. Isensee, Gemeinwohl, Rn. 32-34, zieht den Personenkreis, auf den sich das Gemeinwohl bezieht, ebenfalls weit.

Inhalte

Verfassungstext
Kommentar
Schlagwörter
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Über dieses Projekt
Letzte Änderungen

About this project
À propos de ce projet

Werkzeuge

Als PDF downloaden
Zitiervorschlag
Hilfe