
Art. 55
Parliament shall be prorogued by the Reigning Prince in person or by his plenipotentiary.
Autor: Peter Bussjäger. Zuletzt bearbeitet: 5. Februar 2016
Zitiervorschlag: Bussjäger, Peter, Art. 55 LV, Stand: 5. Februar 2016, in: Liechtenstein-Institut (Hrsg.): Online-Kommentar zur liechtensteinischen Verfassung, https://verfassung.li/Art._55
Entstehung und Materialien
Verfassung Hohenzollern-Sigmaringen § 125
Verfassungsentwurf Wilhelm Beck Art. 43 Abs. 4
Literatur
Allgäuer, Thomas, Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung im Fürstentum Liechtenstein, LPS 13, Vaduz 1989
Batliner, Gerard, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, in: Batliner (Hrsg.), Die liechtensteinische Verfassung 1921. Elemente der staatlichen Organisation, LPS 21, Vaduz 1994, S. 15–104
Batliner, Gerard, Zur heutigen Lage des liechtensteinischen Parlaments, LPS 9, Vaduz 1981
Beck, Roger, Rechtliche Ausgestaltung, Arbeitsweise und Reformbedarf des liechtensteinischen Landtags, LPS 53, Schaan 2013
Kirchherr, Roland, Die Verfassung des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen vom Jahre 1833, Köln/Wien 1983
Schiess Rütimann, Patricia M., Die Regelung der Stellvertretung von Staatsoberhaupt, Parlaments- und Regierungsmitgliedern in Liechtenstein – ein anregendes Vorbild?, in: Wolf (Hrsg.), State Size Matters. Politik und Recht im Kontext von Kleinstaatlichkeit und Monarchie, Wiesbaden 2016, S. 99–130
Steger, Gregor, Fürst und Landtag nach liechtensteinischem Recht, Vaduz 1950
Weber, Christine, Das Gegenzeichnungsrecht unter besonderer Berücksichtigung der Verfassung des Fürstentums Liechtenstein, Frankfurt a.M. 1997
Wille, Herbert, Die liechtensteinische Staatsordnung. Verfassungsgeschichtliche Grundlagen und oberste Organe, LPS 57, Schaan 2015
Winkler, Günther, Begnadigung und Gegenzeichnung. Eine praxisorientierte, verfassungsrechtliche und staatstheoretische Studie über Staatsakte des Fürsten von Liechtenstein, Wien/New York 2005
I. Allgemeine Bemerkungen und Entstehungsgeschichte
Wie Art. 54 LV stellt auch Art. 55 LV eine Bestimmung dar, die praktisch unverändert aus dem Zeitalter des Konstitutionalismus stammt. Dies zeigt sich an der Rezeptionsvorlage der KonV: § 125 der Verfassung des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen enthielt folgende Bestimmung: „Der Landtag wird von dem Landesfürsten in eigener Person oder durch einen landesherrlichen Commissär auf eine feierliche Weise geschlossen.“
§ 105 KonV nahm daran nur unwesentliche Änderungen vor, verzichtete auf die Feierlichkeit und schob vor dem Wort „landesherrlichen“ das Wort „eigenen“ ein.
Auch der Verfassungsentwurf Wilhelm Becks sah eine Schliessung des Landtages durch den Landesfürsten entweder in eigener Person oder aber durch ein „Regierungsmitglied“ vor. Die Regierungsvorlage Josef Peers ersetzte das Wort „Regierungsmitglied“ durch „Bevollmächtigten“. In den nachfolgenden Landtagsdiskussionen war die Bestimmung offenbar kein Thema mehr. Art. 55 LV wurde in der heute geltenden Fassung mit LGBl. 1921 Nr. 15 kundgemacht.
Die Bestimmung bildet das Pendant zur Eröffnung des Landtages gemäss Art. 54 LV. Sie ist noch ganz dem Sessionensystem der Konstitutionellen Monarchie verpflichtet, indem es der Landesfürst ist, der den Landtag eröffnet und schliesst.[1]
II. Schliessung des Landtages
A. Rechtliche Bedeutung
Die Schliessung des Landtages wird vor dem versammelten Landtag ausgesprochen.[2] Sie hat gemäss Art. 55 LV beachtliche rechtliche Konsequenzen: Sie beendet die Sitzungsperiode.[3] Ein neuerliches Zusammentreten des Landtages ist nur durch Einberufung des Landesfürsten mittels landesfürstlicher Verordnung oder über begründetes, schriftliches Verlangen von wenigstens 1.000 wahlberechtigten Landesbürgern oder über Gemeindeversammlungsbeschlüsse von wenigstens drei Gemeinden (Art. 48 Abs. 1 und 2 LV) möglich.[4] Die Organe des Landtages (Präsident, Vizepräsident, Landtagspräsidium) verlieren ihre Funktionen ebenso wie die Kommissionen des Landtages.[5] Der Landtag ist damit handlungsunfähig.[6]
Mit der Schliessung des Landtages herrscht nun tagungsfreie Zeit, in welcher lediglich der Landesausschuss (vgl. Art. 71 LV) in Funktion tritt.[7] Der Umstand, dass besondere Kommissionen des Landtages und Untersuchungskommissionen (Art. 69 und 70 GOLT) auch dann tagen können, wenn der Landtag geschlossen ist (Art. 78 Abs. 2 GOLT), ist daher verfassungsrechtlich fragwürdig.[8] Demgegenüber kann bei den in Art. 61 GOLT erwähnten ständigen Delegationen bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und der OSZE, der Internationalen Parlamentarier Union, der Parlamentarierkonferenz Bodensee und der EFTA- bzw. EWR-Staaten, argumentiert werden, dass diese Delegationen in Art. 71 LV zumindest nicht ausdrücklich erwähnt sind.[9] Da die Terminplanung der betreffenden Sitzungen ohne Rücksichtnahme auf die Tagungszeit des Landtages erfolgt, wäre es im Übrigen äusserst unpraktisch und würde die Mitwirkung des Landtages in diesen Gremien geradezu verunmöglichen, wenn die jeweilige Delegation nur innerhalb der Sitzungsperiode des Landtages tätig werden dürfte.
B. Person des Schliessenden
Die Verfassung überlässt es dem Landesfürsten, den Landtag in eigener Person oder durch einen Bevollmächtigten, im Regelfall den Regierungschef,[10] zu schliessen. Es gilt dasselbe, was zu Art. 54 LV gesagt wurde: Die Schliessung des Landtages durch den Landesfürsten als faktische Amtshandlung unterliegt wie die Eröffnung keiner Gegenzeichnung.[11]
Sofern die Landtagsschliessung zu den Angelegenheiten zählt, die dem Erbprinzen übertragen sind (Art. 13bis LV), schliesst dieser als Stellvertreter und nicht als Bevollmächtigter den Landtag.[12] Er hat auch darüber zu entscheiden, wen er bevollmächtigt, falls er selbst die Schliessung nicht vornehmen kann oder will.[13]
Wie bei Art. 54 LV wird eine schriftliche Vollmacht zu verlangen sein.[14] Ihr Inhalt muss dem versammelten Landtag zur Kenntnis gebracht werden.[15] Die Erteilung der Vollmacht an den Regierungschef unterliegt nicht der Gegenzeichnung durch den Regierungschef, da es sich in diesem Fall nicht um einen „Erlass“ handelt, sondern um einen Auftrag an den Regierungschef im Sinne des Art. 85 LV.[16] Eine andere Beurteilung ergibt sich dann, wenn die Bevollmächtigung an eine dritte Person erteilt werden soll. Dies wäre nach der hier vertretenen Auffassung sehr wohl als ein Erlass zu qualifizieren.[17]
Fussnoten
- ↑ Vgl. Kirchherr, Verfassung, S. 188.
- ↑ Steger, Fürst, S. 123.
- ↑ Siehe dazu näher Bussjäger, Kommentar zu Art. 48 LV.
- ↑ Siehe auch Wille, Staatsordnung, S. 335.
- ↑ Vgl. Beck, Ausgestaltung, S. 157.
- ↑ Beck, Ausgestaltung, S. 157.
- ↑ Siehe Kommentar zu Art. 71 LV.
- ↑ Batliner, Lage, S. 102; Allgäuer, Kontrolle, S. 362; Beck, Ausgestaltung, S. 157.
- ↑ Kritisch aber auch diesbezüglich Batliner, Lage, S. 102; Allgäuer, Kontrolle, S. 362.
- ↑ Wille, Staatsordnung, S. 333; Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 232. Nicht völlig klar ist, ob Winkler, Begnadigung, S. 56 f., die Auffassung vertritt, dass nur der Regierungschef als Bevollmächtigter auftreten kann.
- ↑ Siehe auch Winkler, Begnadigung, S. 62; Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 278. A.M. hingegen Batliner, Aktuelle Fragen, S. 88, der auch den Akt der Eröffnung des Landtages und der Abnahme des Eides der Abgeordneten als gegenzeichnungspflichtig qualifiziert, was nach der hier vertretenen Auffassung allerdings mit der faktischen Natur dieser Amtshandlung nicht vereinbar ist. Im Sinne Batliners allerdings auch Wille, Staatsordnung, S. 335, der auch im Zusammenhang mit der Schliessung des Landtages von einer landesfürstlichen Verordnung spricht.
- ↑ Dazu auch Schiess Rütimann, Stellvertretung, S. 102 und S. 108; in diesem Sinne wohl auch Waschkuhn, Politisches System, S. 138.
- ↑ Vgl. Schiess Rütimann, Stellvertretung, S. 108.
- ↑ Vgl. Winkler, Begnadigung, S. 56 f.
- ↑ Winkler, Begnadigung, S. 56 f.
- ↑ Winkler, Begnadigung, S. 56 f., qualifiziert die Bevollmächtigung generell nicht als „Erlass“. Batliner, Aktuelle Fragen, S. 87 f., qualifiziert auch solche Aufträge offenbar als gegenzeichnungspflichtig.
- ↑ A.M. wohl Winkler, Begnadigung, S. 9 ff. Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 263 f., vertritt hingegen die Auffassung, dass die Bevollmächtigung des Regierungschefs tatsächlich nicht als gegenzeichnungspflichtig qualifiziert werden kann, aber eine uneinheitliche Praxis (Gegenzeichnungspflicht der Bevollmächtigung Dritter) nicht „empfehlenswert“ sei.