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Art. 88

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Bei Verhinderung des Regierungschefs tritt der Regierungschef-Stellvertreter in die Funktionen ein, die durch die Verfassung ausdrücklich dem Regierungschef übertragen sind. Ist auch der Regierungschef-Stellvertreter verhindert, so tritt für ihn der an Jahren ältere Regierungsrat ein.

If the Prime Minister should be unable to perform his responsibilities, the Deputy Prime Minister shall take over those functions that the Constitution explicitly accords to the Prime Minister. If the Deputy Prime Minister should also be unable to perform his responsibilities, the eldest Minister shall take his place.


Autor: Peter Bussjäger. Zuletzt bearbeitet: 13. Juli 2018
Liechtenstein-Institut (Hrsg.): Kommentar zur liechtensteinischen Verfassung. Onli-ne-Kommentar, Bendern 2016, verfassung.li

Entstehung und Materialien

§ 14 Amts-Instruktion für die Staatsbehörden des souveränen Fürstentums Liechtenstein 1871

Verfassungsentwurf Prinz Karl § 71

RV (1. Fassung) § 87 und RV (2. Fassung) § 88

VK, S. 3

Landtagsprotokoll vom 24. August 1921

LGBl. 1921 Nr. 15

Bericht der Verfassungskommission vom 15. Januar 1965

LGBl. 1965 Nr. 22

Literatur

Batliner, Gerard, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht (1.Teil), in: Batliner (Hrsg.), Die liechtensteinische Verfassung 1921. Elemente der staatlichen Organisation, LPS 21, Vaduz 1994, S. 15–104

Kieber, Walter, Regierung, Regierungschef, Landesverwaltung, in: Batliner (Hrsg.), Die liechtensteinische Verfassung 1921. Elemente der staatlichen Organisation, LPS 21, Vaduz 1994, S. 289–327

Kley, Andreas, Grundriss des liechtensteinischen Verwaltungsrechts, LPS 23, Vaduz 1998

Pappermann, Ernst, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, Bigge/Ruhr 1967

Schiess Rütimann, Patricia M., Die Regelung der Stellvertretung von Staatsoberhaupt, Parlaments- und Regierungsmitgliedern in Liechtenstein – ein anregendes Vorbild?, in: Wolf (Hrsg.), State Size Matters. Politik und Recht im Kontext von Kleinstaatlichkeit und Monarchie, Wiesbaden 2016, S. 99–130

Schurti, Andreas, Das Verordnungsrecht der Regierung des Fürstentums Liechtenstein, St. Gallen 1989

Weber, Christine, Das Gegenzeichnungsrecht unter besonderer Berücksichtigung der Verfassung des Fürstentums Liechtenstein, Frankfurt am Main 1997

Wille, Herbert, Die liechtensteinische Staatsordnung. Verfassungsgeschichtliche Grundlagen und oberste Organe, LPS 57, Schaan 2015

Winkler, Günther, Begnadigung und Gegenzeichnung, Wien/New York 2005  

I. Allgemeine Bemerkungen und Entstehungsgeschichte

Die Konstitutionelle Verfassung enthielt keine Regelung über die Stellvertretung des Landesverwesers bzw. der Landräte. Die Amts-Instruktion 1871 sah in § 14 eine Stellvertretungsregelung der Landräte vor, nicht aber des Landesverwesers. Dies deshalb, weil der Landesverweser seinerseits lediglich Stellvertreter des Landesfürsten war. Art. 64 des Verfassungsentwurfs Wilhelm Becks bestimmte, dass im Falle der Verhinderung des Landammanns, seiner Abwesenheit oder wenn er wegen Verwandtschaft und anderer durch das Gesetz bestimmter Gründe in den Ausstand treten musste, ein Stellvertreter zu bestimmen war. Diese Regelung sollte auch auf die Regierungsräte angewendet werden. War auch der Landammann-Stellvertreter verhindert, so hatte ein anderes Regierungsmitglied an seine Stelle zu treten. Die Regierungsvorlage Josef Peers knüpfte am Vorschlag Becks an und bestimmte in § 87 (§ 88 der zweiten Fassung), dass im Falle der Verhinderung oder der Abwesenheit des Landammanns oder wenn er wegen eines durch Gesetz bestimmten Grundes in den Ausstand zu treten hatte, der Landammann-Stellvertreter in seine Funktionen einzutreten hatte. War auch dieser verhindert, so sollte der an Jahren ältere Regierungsrat eintreten. Der Abs. 2 bestimmte, dass im Falle der Verhinderung eines der Regierungsräte ein Stellvertreter einzuberufen war. Die Verfassungskommission des Landtages nahm daran nur geringfügige Änderungen vor, insbesondere wurde das Wort „Landammann“ durch „Regierungschef“ ersetzt.[1] Mit diesen Änderungen trat Art. 88 LV schliesslich in Kraft und blieb bis 1965 unverändert. Mit der Verfassungsänderung LGBl. 1965 Nr. 22 erhielt Art. 88 LV seine heute geltende Fassung. Die Materialien[2] führen dazu aus, dass in dem neuen Artikel 88 LV „die Stellvertretung in den sog. Präsidialfunktionen des Regierungschefs (Art. 65, 85, 86, 89 und 90 der Verfassung) geregelt“ sei. Eine historische Interpretation der Bestimmung hat daher an den Materialien anzuknüpfen (dazu im Folgenden unter Kapitel II.).

II. Die Stellvertretung des Regierungschefs

A. Allgemeines zur Stellvertretung

Die Verfassung sieht hinsichtlich der Regierungsmitglieder verschiedene Formen der Stellvertretung vor. Zu unterscheiden ist zwischen dem Stellvertreter gemäss Art. 79 Abs. 2 LV, der eine Stellvertretung lediglich im Rahmen der Regierungssitzung vorsieht, und der Stellvertretung des Regierungschefs gemäss Art. 79 Abs. 3 LV, der eine Vertretung in inhaltlichen Angelegenheiten durch ein anderes Regierungsmitglied, eben den Regierungschef-Stellvertreter vorsieht.[3] Art. 88 LV regelt nun genau diese Stellvertretung und bestimmt ausserdem, was zu geschehen hat, wenn auch der Regierungschef-Stellvertreter verhindert ist. Eine dritte Form der Stellvertretung ist überdies in Art. 91 zweiter Satz LV vorgesehen, wonach in der Geschäftsverteilung der Regierung für den Fall der Verhinderung eine gegenseitige Vertretung vorzusehen ist.[4]

B. Der Verhinderungsfall

Art. 88 LV regelt ausschliesslich den Fall der Verhinderung des Regierungschefs. Regelungen über die Stellvertretung der Regierungsräte finden sich in Art. 91 LV.[5] Bei der Auslegung des Begriffes der Verhinderung ist an die Ausführungen im Bericht der Verfassungskommission vom 15. Januar 1965 anzuknüpfen, wonach der Begriff der Verhinderung „für alle faktischen und rechtlichen Gründe“ Anwendung finden sollte, „die ein Regierungsmitglied an der Ausübung des Amtes verhindern.“[6] Faktische Gründe können wohl solche einer Auslandsabwesenheit oder einer Krankheit sein. Als rechtliche Gründe kommen der Ausstand[7] (siehe Art. 6 LVG) in Betracht, aber auch eine allfällige Ministeranklage (siehe Art. 6 Abs. 1 lit. a LVG i.V.m. Art. 28 ff StGHG).[8] Somit werden die von der Lehre nach materiellen und formellen Gesichtspunkten differenzierten Beendigungs- bzw. Unterbrechungsgründe miteinbezogen.[9] Sieht sich der Regierungschef trotz Krankheit in der Lage, seine Tätigkeit auszuüben, liegt kein Verhinderungsfall vor. Die Bestimmung des Art. 88 LV erlaubt es seinem Stellvertreter nicht, die Funktion des Regierungschefs gegen dessen Willen zu übernehmen, solange dieser im Stande ist, an den Regierungssitzungen teilzunehmen und ein Mindestmass an Präsenz in den Regierungsgeschäften zeigt. Im Falle einer Regierungsunfähigkeit des Regierungschefs, die von diesem nicht erkannt wird, müssen sich der Landesfürst und der Landtag die Frage stellen, ob die betreffende Person weiterhin ihr Vertrauen geniesst und sie gegebenenfalls auf der Grundlage von Art. 80 Abs. 2 LV einvernehmlich entlassen.[10] Die Verweise im Bericht der Verfassungskommission auf die Art. 65, 85, 86, 89 und 90 LV zeigen, dass es um die Stellvertretung in Angelegenheiten geht, die die Verfassung dem Regierungschef explizit überträgt,[11] wie etwa die Gegenzeichnung von Gesetzen (Art. 65 LV)[12] oder die Vorsitzführung in der Regierung mit der Ausführung der landesherrlichen Verfügungen (Art. 85 LV)[13] sowie die Berichterstattung an den Landesfürsten (Art. 86 LV).[14] Die Stellvertretung muss um der „kompetentiellen berechenbaren Eindeutigkeit, der Transparenz und der Zurechenbarkeit willen jeweils nach aussen kund[ge]geben werden.“[15] Eine Stellvertretung in bloss repräsentativen Angelegenheiten, etwa bei Festlichkeiten, Konferenzen, kann dagegen auch von anderen Regierungsräten, sogar von unterstellten Mitarbeitern der Landesverwaltung vorgenommen werden. Dies ist Sache des Protokolls der Regierung oder sonstiger, anlassbezogener Vorgangsweise.[16] Die Verfassung trifft hierzu jedenfalls keine Anordnungen. Art. 23 RVOG normiert, dass, wenn ein Regierungsmitglied an der Wahrnehmung seiner Aufgaben verhindert ist, ein anderes, von der Kollegialregierung dazu bestimmtes Regierungsmitglied das verhinderte Mitglied vertritt. Art. 79 Abs. 2 und Art. 88 der Verfassung bleiben dabei jedoch vorbehalten. Obwohl Art. 23 RVOG f Art. 91 LV näher ausführt, kann die Bestimmung dennoch auch auf die Fallkonstellation angewendet werden, in der der Regierungschef eine repräsentative Verpflichtung nicht wahrnehmen kann.[17]

C. Die Funktionen des Regierungschef-Stellvertreters

Liegt ein Verhinderungsfall vor, tritt der Regierungschef-Stellvertreter in die genannten Funktionen des Regierungschefs ein. Die massgeblichen Handlungen sind mit einem Hinweis auf die Stellvertretungsfunktion zu setzen, damit klargestellt ist, dass nicht etwa ein unzuständiges Organ eingeschritten ist.

D. Die Stellvertretung durch einen Regierungsrat

Für den Fall, dass auch der Regierungschef-Stellvertreter verhindert ist, sieht Art. 88 LV vor, dass der an Jahren ältere Regierungsrat eintritt.[18] Dies bedeutet, dass die Funktion auf das älteste der drei verbliebenen Regierungsmitglieder übergeht. Auf die als Regierungsmitglied verbrachte Zeit in der Regierung kommt es demnach nicht an. Klarzustellen ist, dass eine interne Stellvertretung[19] nach Art. 88 LV niemals auf den externen Stellvertreter gemäss Art. 79 Abs. 2 LV übergeht.[20] Tritt somit der Fall ein, dass sämtliche der fünf Regierungsmitglieder verhindert sind, können die Funktionen, für welche die Stellvertretung vorgesehen ist, nicht mehr wahrgenommen werden.[21]

E. Beginn und Ende der Stellvertretung

Die Stellvertretung beginnt mit dem Zeitpunkt, den der Regierungschef seinem Stellvertreter für den Beginn der Notwendigkeit einer Stellvertretung bekannt gibt, etwa dem Zeitpunkt, zu dem er zu einer Auslandsreise aufbricht. In den Fällen, in denen der Regierungschef nicht mehr selbst in der Lage ist, auf die Notwendigkeit einer Stellvertretung hinzuweisen, beginnt die Stellvertretung mit dem Zeitpunkt, in dem die Notwendigkeit (für Dritte) offensichtlich wird. Die Stellvertretung endet mit dem Zeitpunkt, in dem der Regierungschef die Stellvertretung für beendet erklärt. Dies kann auch konkludent erfolgen.

Fussnoten

  1. Siehe dazu Bericht über die Beschlüsse der Verfassungskommission vom 15. und 18. März 1921, S. 3. Wille, Staatsordnung, S. 169.
  2. Siehe dazu Bericht der Verfassungskommission vom 15. Januar 1965, S. 3.
  3. Vgl. Bussjäger, Kommentar zu Art. 79 LV, Kapitel II.C.
  4. Schiess Rütimann, Stellvertretung, S. 110.
  5. Vgl. Schiess Rütimann, Stellvertretung, S. 91.
  6. Vgl. Bericht Verfassungskommission vom 15. Januar 1965, S. 3.
  7. Vgl. dazu Kley, Verwaltungsrecht, S. 130 f.
  8. Zur Ministeranklage siehe Wille, Staatsordnung, S. 528 f.
  9. Kieber, Regierung, S. 315 ff.
  10. Dazu näher Bussjäger, Kommentar zu Art. 80 LV, Kapitel III.
  11. So auch Pappermann, Regierung, S. 61.
  12. Dazu näher Bussjäger, Kommentar zu Art. 65 LV, Kapitel II.C.
  13. Dazu näher Bussjäger, Kommentar zu Art. 85 LV, Kapitel II.
  14. Dazu näher Bussjäger, Kommentar zu Art. 86 LV, Kapitel II.
  15. Batliner, Einführung, S. 75.
  16. Siehe dazu näher https://www.llv.li/#/11423/protokoll-der-regierung.
  17. In diesem Sinne wohl auch Schiess Rütimann, Stellvertretung, S. 111.
  18. Vgl. Kieber, Regierung, S. 318.
  19. So die Terminologie von Schiess Rütimann, Stellvertretung, S. 111 ff., für die zwei Arten von Stellvertretung betreffend die Regierungsmitglieder.
  20. So auch Pappermann, Regierung, S 61, der im Übrigen die Aufteilung der Stellvertretung nach Art. 88 LV und Art. 79 Abs. 3 LV als nicht glücklich bezeichnet.
  21. Siehe den Hinweis bei Schiess Rütimann, Stellvertretung, S. 111, auf den leicht eintretenden „Engpass“.
Abgerufen von „https://verfassung.li/Art._88

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