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Art. 106

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Unbefristete Richterstellen dürfen nur mit Zustimmung des Landtages geschaffen werden.

Open-ended judicial positions may only be created with the consent of Parliament.


Autor: Peter Bussjäger. Zuletzt bearbeitet: 11. Januar 2019[1]
Liechtenstein-Institut (Hrsg.): Kommentar zur liechtensteinischen Verfassung. Online-Kommentar, Bendern 2016, verfassung.li

Entstehung und Materialien

LGBl. 1921 Nr. 15

Verfassungsvorschlag des Fürstenhauses vom 2. Februar 2000 (rote Broschüre)

Verfassungsvorschlag des Fürstenhauses vom 1. März 2001 (grüne Broschüre)

Verfassungsvorschlag des Fürstenhauses vom 2. August 2002

LGBl. 2003 Nr. 186

BuA Nr. 8/2007

LGBl. 2008 Nr. 145

Literatur

Grabenwarter, Christoph, Rechtsgutachten vom 2. Februar 2018 zur befristeten Bestellung von vollamtlichen Richtern im Fürstentum Liechtenstein (beigelegt dem BuA Nr. 20/2018)

Ritter, Michael, Das liechtensteinische Beamtenrecht, Bern 1992

Stotter, Heinz Josef, Die Verfassung des Fürstentum Liechtenstein, 2. Aufl., Schaan 2004

Wille, Herbert, Die liechtensteinische Staatsordnung. Verfassungsgeschichtliche Grundlagen und oberste Organe, LPS 57, Schaan 2015

I. Allgemeine Bemerkungen und Entstehungsgeschichte

Die Bestimmung des Art. 106 LV regelt in knappen Worten die Zustimmungspflicht des Landtages zu unbefristeten Richterstellen. Eine solche Regelung gab es in der Konstitutionellen Verfassung noch nicht. § 33 KonV bestimmte vielmehr, dass die Gerichtsbarkeit im Auftrage des Fürsten durch geprüfte und verpflichtete Richter verwaltet wurde. Eine Mitwirkungspflicht des Landtages war nicht vorgesehen. Die Entstehungsgeschichte der heute geltenden Norm stellt sich nicht unkompliziert dar: Art. 106 LV hatte in der Verfassung von 1921 noch einen völlig anderen Inhalt, indem die richterliche Unabhängigkeit der Mitglieder des Staatsgerichtshofes garantiert wurde. Die Bestimmung gehörte zu Kapitel E des siebten Hauptstückes der Verfassung. In Kapitel F des siebten Hauptstückes bestimmte nachfolgend Art. 107 LV: „Für die Anstellung im liechtensteinischen Staatsdienste ist, unbeschadet weitergehender Bestimmungen dieser Verfassung, das liechtensteinische Staatsbürgerrecht erforderlich; Ausnahmen sind nur mit Zustimmung des Landtages zulässig.“ Mit der Verfassungsrevision 2003 wurde u.a. die Organisation der Gerichtsbarkeit geändert und fortan in einem eigenen Hauptstück geregelt. Sodann bildete Art. 106 LV den ersten Artikel des nunmehr neunten Hauptstückes mit folgendem Inhalt:

„1) Neue ständige Beamtenstellen dürfen nur mit Zustimmung des Landtages geschaffen werden. Für die definitive Anstellung im liechtensteinischen Staatsdienste ist, unter Vorbehalt weitergehender Bestimmungen dieser Verfassung sowie staatsvertraglicher Verpflichtungen, das liechtensteinische Staatsbürgerrecht erforderlich; Ausnahmen sind nur mit Zustimmung des Landtages zulässig.
2) Dasselbe gilt für ständige neue Richterstellen.“

Die Erläuterungen der Initiative des Fürstenhauses begründen diese Änderungen damit, dass der erste Satz des neuen Art. 106 Abs. 1 LV aus dem „alten Artikel über die Beamtenernennungen“ übernommen werde (gemeint ist der frühere Art. 11 LV). Die weiteren Neuerungen im Abs. 1 werden auf die Vorschläge der Verfassungskommission gestützt.[2] Zur Einführung der (neuen) Regelung des Abs. 2 finden sich jedoch keine Erläuterungen. Bereits 2008 wurde diese Regelung abermals geändert.[3] Die bisherige Verfassungsbestimmung, wonach neue ständige Beamtenstellen nur mit Zustimmung des Landtages geschaffen werden dürfen, wurde gestrichen.[4] Dem Bericht und Antrag[5] ist die Auffassung zu entnehmen, nach der es als nicht mehr gerechtfertigt schien, dass der Landtag mit der Zustimmung zu neuen ständigen Stellen befasst werden musste. Die Kontrolle des Landtages über den Stellenplan sollte künftig im Wege der Bewilligung des Landesvoranschlages erfolgen. Ausserdem erachtete die Regierung den Vorbehalt der Zustimmung des Landtages für die Ausnahme vom Erfordernis des liechtensteinischen Staatsbürgerrechtes als nicht mehr zeitgemäss.[6] Die Aufgabe sollte stattdessen von der Regierung wahrgenommen werden. Lediglich für die unbefristeten Richterstellen sollte die Regelung des bisherigen Art. 106 Abs. 2 LV beibehalten werden.[7]

II. Die Personalausstattung der Justiz

A. Die Richterstellen

Art. 106 LV verwendet den Begriff der „Richterstelle“. Bemerkenswerterweise wird der Begriff in der liechtensteinischen Rechtsordnung zwar mehrfach verwendet, jedoch nicht definiert. Art. 3 und 5 des Richterbestellungsgesetzes[8] sprechen von Richterstellen, das Richterdienstgesetz[9] knüpft hingegen nur im Zusammenhang mit den Ad-hoc-Richtern (Art. 3 RDG) an den Begriff an. Art. 106 LV bezieht sich lediglich auf die Schaffung der abstrakten Richterstelle. Die Besetzung derselben mit einer bestimmten Person ist Gegenstand des in Art. 96 LV geregelten Verfahrens zwischen dem Richterauswahlgremium, dem Landtag und dem Landesfürsten. Hinsichtlich des Begriffs des „Richters“ ist auf die Ausführungen zu Art. 11 LV zu verweisen:[10] Richter sind entsprechend des Art. 95 Abs. 3 LV jene Organe, die die Gerichtsbarkeit (Landgericht, Obergericht, Oberster Gerichtshof, Verwaltungsgerichtshof und Staatsgerichtshof) in Liechtenstein ausüben.[11] Demgegenüber nicht zu den Richtern zählen die Mitglieder der verschiedenen Beschwerdekommissionen (beispielsweise Beschwerdekommission für Verwaltungsangelegenheiten, Beschwerdekommission für Finanzmarktangelegenheiten, Landesgrundverkehrskommission oder Landessteuerkommission). Der Umstand, dass diese Personen allenfalls Mitglieder eines „Tribunals“ i.S. des Art. 6 EMRK sind, bedeutet indes nicht, dass sie dadurch Richter i.S. des Art. 11 LV oder des Art. 95 LV sind.[12] Keine Richter sind auch Staatsanwälte, Richteramtsanwärter, Kanzleibedienstete und Rechtspraktikanten.[13] Freilich ist Art. 106 LV nicht auf alle Stellen von Richtern anwendbar: Die Zahl der Richter des Verwaltungsgerichtshofes und des Staatsgerichtshofes ist einschliesslich der Zahl der Ersatzrichter nämlich bereits durch die Verfassung (Art. 102 Abs. 1 LV und Art. 105 LV) vorgegeben. Ausserdem ist ihre Amtszeit (fünf Jahre) ebenfalls in der Verfassung verankert (Art. 102 Abs. 2 LV und Art. 105 LV). Eine Änderung der Zahl der Richter an diesen beiden Gerichten würde daher einer Verfassungsänderung bedürfen, sodass Art. 106 LV keine Anwendung finden kann.[14] Im Unterschied dazu wird die Zahl der Mitglieder des Landgerichtes, des Obergerichtes und des Obersten Gerichtshofes nicht durch die Verfassung bestimmt. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass Art. 106 LV auf sämtliche Richterstellen dieser Gerichte anzuwenden ist. Art. 19 GOG[15] bestimmt nämlich, dass das Obergericht aus drei Senaten mit je drei Mitgliedern besteht. Gemäss Art. 18 Abs. 2 GOG bestimmt der Landtag auf Vorschlag der Regierung die Summe der Stellenprozente der vollamtlichen Richter des Obergerichtes. Damit ergibt sich kein weiterer Raum mehr für eine Anwendbarkeit des Art. 106 LV, was freilich nicht schadet: Es ist nämlich der Landtag, der die Zahl der Mitglieder des Obergerichtes in Zusammenhang der Art. 19 und Art. 18 Abs. 2 GOG abschliessend regelt. Für den in Praxis durch nebenamtliche Richter besetzten Obersten Gerichtshof bestimmt Art. 23 GOG, dass dieser aus zwei Senaten mit einem Senatsvorsitzenden, dessen Stellvertreter und vier Oberstrichtern besteht. Somit besteht auch in diesem Fall für eine Anwendung des Art. 106 LV kein Raum. Die Funktionen in den verschiedenen Kommissionen der Landesverwaltung gelten trotz ihrer Unabhängigkeit (wie etwa in der Verwaltungsbeschwerdekommission) nicht als Richterstellen. Somit ist Art. 106 LV in der Praxis lediglich auf das Landgericht anzuwenden, weil es sich um das einzige Gericht handelt, dessen Richterzahl nicht bereits durch die Verfassung oder das Gesetz festgelegt ist. Das Zustimmungsrecht des Landtages bezieht sich nach dem eindeutigen Wortlaut ausschliesslich auf die Schaffung neuer unbefristeter Richterstellen. Das Richterdienstgesetz unterscheidet nun allerdings nicht zwischen befristeten und unbefristeten Richterstellen, sondern zwischen vollamtlichen und nebenamtlichen Richtern. Erstere werden gemäss Art. 16 Abs. 1 RDG bis zum Erreichen des Zeitpunkts der Altersgrenze für den ordentlichen Altersrücktritt ernannt, letztere gemäss Art. 16 Abs. 2 RDG für einen Zeitraum von fünf Jahren. Nachdem die Praxis des Nebeneinanders vollamtlicher und nebenamtlicher Richter in Liechtenstein mit der Verknüpfung einer unbefristeten (vollamtliche Richter) und befristeten (nebenamtliche) Richterstelle bereits im Zeitpunkt der Verfassungsrevision 2003, mit welcher die heutige Regelung des Art. 106 LV eingeführt wurde, bestanden hat, ist davon auszugehen, dass die Verfassung auch an diese Unterscheidung anknüpft: Unbefristete Richterstellen sind solche, die vollamtlichen Richtern vorbehalten sind, befristete Richterstellen hingegen solche, die für nebenamtliche Richter oder für Ad-hoc-Richter (Art. 3 RDG) vorgesehen sind.[16] In diesem Zusammenhang ist auf die Meinung Grabenwarters zu verweisen, wonach sich aus dem Zustimmungsvorbehalt Art. 106 LV ergebe, dass die Verfassung „im Prinzip“ von der unbefristeten Bestellung der Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit ausgehe.[17] Die Regierung kann demnach durch die Schaffung befristeter Richterstellen das Zustimmungsrecht des Landtages nicht schlechthin umgehen. Eine solche Umgehung wäre in zwei Richtungen hin jeweils problematisch: Einerseits würden sehr lange Befristungen das Zustimmungsrecht praktisch aushöhlen, andererseits sind sehr kurze Fristen im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit kritisch zu betrachten. Allerdings gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Verfassungsrevision die Praxis nebenamtlicher Richter im Obergericht (derzeit nur noch teilweise praktiziert) und im Obersten Gerichtshof (sämtliche Richter sind nebenamtlich tätig) einschränken wollte. Die Schaffung befristeter Richterstellen muss nach dem Gesagten daher auf Ad-hoc-Richter gemäss Art. 3 RDG sowie auf nebenamtliche Richter in den übergeordneten Instanzen beschränkt bleiben.[18] Die Schaffung von Richterstellen ist eine besonders sensible Entscheidung angesichts des Umstandes, dass eine Unterversorgung mit Personal die Funktion und das Funktionieren des Rechtsstaates ernstlich untergraben könnte. Ob und wie viele neue Richterstellen geschaffen werden, verbleibt jedoch auf Grund der Entscheidung der Verfassung zunächst im Verantwortungsbereich der Regierung, welche die Zustimmung des Landtages einholen muss. Keiner Zustimmung des Landtages bedarf es demgegenüber, wenn eine bestehende, vakant gewordene Richterstelle neu besetzt wird oder wenn sich die Regierung entschliesst, eine vakant gewordene Richterstelle nicht weiter zu besetzen und damit einzusparen. Dies deshalb, weil der Wortlaut der Verfassung diese Zustimmung ausdrücklich nur bei der Schaffung neuer Stellen vorschreibt.

B. Sonstiges Personal

Art. 106 LV bezieht sich ausschliesslich auf Richterstellen. Dies bedeutet, dass der Landtag in der Genehmigung des Voranschlags die im Stellenplan vorgesehenen Kapazitäten für andere Personalkategorien (z.B. Kanzleimitarbeitende) bewilligt.

C. Die Zustimmung des Landtages

Die Zustimmung des Landtages erfolgt durch Beschluss (Art. 58 LV). Grundlage des Beschlusses ist die entsprechende Regierungsvorlage, die mit einem Bericht und Antrag zu versehen ist (Art. 14 GVVKG[19]). Der Vorschlag der Regierung wird vom Landtag angenommen oder nicht.[20] Der Landtag kann den Vorschlag insoweit abändern, als beispielsweise statt der beantragten zwei Richterstellen nur eine genehmigt wird. Umgekehrt können statt einer beantragten Richterstelle nicht zwei genehmigt werden.

Fussnoten

  1. Der Autor dankt Mirella Johler, Universität Innsbruck, für die wertvolle Unterstützung.
  2. Verfassungsvorschlag für das Fürstentum Liechtenstein vom 2. August 2002, Bemerkung zu Art. 106; siehe auch Stotter, Verfassung, S. 616.
  3. LGBl. 2008 Nr. 145.
  4. Zu dieser früheren Verfassungsrechtslage und ihrer Problematik in der Praxis siehe Ritter, Beamtenrecht, S. 116 ff.
  5. BuA Nr. 8/2007.
  6. BuA Nr. 8/2007, S. 11.
  7. In diesem Zusammenhang lohnt sich auch ein Blick auf das Richterbestellungsverfahren. Siehe dazu: Wille, Staatsorganisation, S. 362 ff.
  8. Gesetz vom 26. November 2003 über die Bestellung der Richter (Richterbestellungsgesetz), LGBl. 2004 Nr. 30 LR 173.01.
  9. Richterdienstgesetz vom 24. Oktober 2007 (RDG), LGBl. 2007 Nr. 347 LR 173.02.
  10. Bussjäger, Kommentar zu Art. 11 LV Kapitel II.B.
  11. So auch Art. 1 Abs. 2 Richterbestellungsgesetz, LGBl. 2004 Nr. 30 LR 173.01.
  12. Bussjäger, Kommentar zu Art. 11 LV Kapitel II.B.
  13. Bussjäger, Kommentar zu Art.11 LV Kapitel II.B.
  14. So auch Grabenwarter, Gutachten, S. 12.
  15. Gesetz vom 24. Oktober 2007 über die Organisation der ordentlichen Gerichte (Gerichtsorganisationsgesetz; GOG), LGBl. 2007 Nr. 348 LR 173.30.
  16. Siehe dazu den BuA Nr. 20/2018 betreffend die Schaffung einer 15. Richterstelle beim Landgericht.
  17. Grabenwarter, Gutachten, S. 12.
  18. In diesem Sinne wohl auch Grabenwarter, Gutachten, S. 12: Der Art. 16 RDG versuche, mit seiner Unterscheidung zwischen unbefristeten vollamtlichen Richtern und befristeten nebenamtlichen Richtern dem „europäischen Standard“ zu entsprechen.
  19. Geschäftsverkehrs- und Verwaltungskontrollgesetz (GVVKG) vom 12. März 2003, LGBl. 2003 Nr. 108 LR172.012.
  20. Siehe etwa den Vorgang zu BuA Nr. 75/2017, Landtags-Protokolle 2017, S. 1420 (Sitzung vom 8. November 2017), in welcher ein entsprechender Antrag der Regierung von der Tagesordnung abgesetzt wurde und der Regierung die Möglichkeit eingeräumt wurde, ihren ursprünglichen Antrag zu überarbeiten.
Abgerufen von „https://verfassung.li/Art._106

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